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Die ewige Mutter Deutz

raum13 Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste: LAB 1869 Zukunftswerk Stadt

Blick in das Otto-Langen-Quartier im Mülheimer Süden. Foto: Eva Rusch
Blick in das Otto-Langen-Quartier im Mülheimer Süden. Foto: Eva Rusch

von Francesco Aneto

Foto: Eva Rusch

 

„Die Stadt der Zukunft ist so viel wert wie die Kraft ihrer Bürger, sich übertriebenen Anpassungszwängen mit kritischer Einsicht entgegenzustellen, nach Besonderheit statt nach Konformität zu drängen, ihr eigenes Urteil zu suchen, statt sich dem der Öffentlichkeit bereitwillig anzuschließen. Wo immer wir aufgeklärte und nicht grenzenlos manipulierbare Menschen als Mitbürger wünschen, müssen wir ihnen die Chance geben, zu solchen Menschen zu werden.“ 

(Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, 
Thesen zur Stadt der Zukunft, 1971)



 

Mülheimer Süden. An einem jener ersten strahlenden Nachmittage im April in der nördlichsten Stadt Italiens, die frischgrünen Parks saugen Leben ein und die Herzen beginnen zu schaukeln, besucht der Autor „raum 13“ in der Deutz-Mülheimer Straße 147-149 auf dem ehemaligen Industriegelände von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD). Auch Anja Kolacek und Marc Leßle, die beiden Inhaber der gemeinnützigen Gesellschaft raum13, sind aufgeräumter Stimmung. Zusammen mit einigen Mitstreitern richten sie nach dem Winterschlaf den großen Hof zwischen dem innenstehenden Büroriegel und der Halle her. Unter dem Plaster liegt vermutlich der Strand und darüber wachsen nun frisch erblühte Sträucher, neues Saatgut wird auf Paletten drapiert.

 

Vor sieben Jahren, als raum13 mit dem Kunst und Stadtentwicklung chanchierenden Konzept „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ startete, war der nun fast an die Dachrinne reichende Baum im Innenhof nur so groß wie ein Grundschulkind. Längst ist man wie der Baum den Kinderschuhen entwachsen. 50.000 Menschen besuchten seit 2011 die zahlreichen Führungen, Kunstaktionen, Theater- und Musikvorstellungen, Diskussionen und vieles Mehr aus dem schier unerschöpflichen Kreativkoffer des engagierten Künstlerpaares. Sie legten zudem reichhaltiges Archivmaterial frei, hielten Erinnerungen der ehemaligen Mitarbeiter durch Foto- und Videodokumentationen fest und renovierten ehemalige Vorstandsräume. Kunst, Kultur, Architektur, Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung bilden eine einzigartige Melange. Befeuert durch unablässige Aktivitäten erlangte man bundesweit Leuchtkraft. Das Goethe-Institut platzierte raum13 Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste 2016 auf seiner Top-10-Liste interessanter deutscher Kulturorte in ehemaligen Industriegebäuden.

 

Mittlerweile scheint die Sonne schräg in den begrünten Innenhof. Das 1869 gegründete KHD-Gelände sei ein „Ankerpunkt der Moderne“, charakterisiert Marc Leßle das historische Areal der weltweit ersten Gasmotorenfabrik. Hier habe die technische Revolution stattgefunden, die motorisierte Mobilität weltweit ihren Ausgang genommen. Die teils unter Denkmalschutz stehenden Gebäude und Hallen seien „ein riesiger Schatz“.  Anja Kolacek ergänzt: diese Wiege des Ottomotors sei für Köln ein wichtiger Ort, der Leben, Wohnen und Arbeiten verbunden habe, mit täglich gelebter Solidarität, aktiver Beteiligung und gemeinsamen 
Festen. Die Menschen hätten sich stark mit dem Ort identifiziert. KHD sei für viele wie eine Mutter gewesen. Dies habe man in zahlreichen Gesprächen mit ehemaligen KHD-Mitarbeitern heraushören können. Auch der Großvater des Autors hatte vor 90 Jahren als junger Mann seine Heimat bei KHD in Deutz gefunden, machte sich jeden Werktagsmorgen um vier Uhr von Köln-Mehrheim auf nach Deutz, abends spielte er Zither in den hiesigen Arbeiterkneipen.

 

Schaut man auf die vielen Aktionen und Projekte, ist es raum13 jedenfalls gelungen, den Schatz zu bergen und seine Möglichkeiten für die künftige Gestaltung dieses besonderen Stadtraumes strahlen zu lassen. Erinnerungs- und Denkräume sind wichtige Teile des Projekts. Raum nicht bloß als Hülle für Körper und Gegenstände, sondern als soziales Produkt, welches Erfahrungen weitergibt und ein freieres gesellschaftliches Miteinander ermöglicht. Die künftige Stadtentwicklung müsse für diese vergangene, 150 Jahre währende Kultur sozialen Lebens sensibilisiert werden, spinnt 
Anja Kolacek den Faden weiter. Man dürfe nicht an ewiggestrigen Schablonen festhalten, müsse sich neuen Methoden öffnen. Nicht die gleichen Fehler bei der Stadtplanung begehen, wie weltweit in vielen anderen immer uniformer werdenden 
Städten. In einem „Reallabor“ sei  die alte Industrie mit Kreativität in die digitale Gesellschaft zu transformieren. Dieses Leitbild spiegelt sich in Ideen von raum13 wieder: Kunst- und Kulturorte einrichten, in denen sich öffentliches und privates Leben mischen, das Museum als kollektives Wohnzimmer nutzen; oder Freiräume, auch geistige, schaffen, dies als dringliche kulturelle Aufgabe zu begreifen sowie (Schul)Bildung und Integration Raum zu geben, damit Gemeinschaft erlebt werden kann.

 

Wie sähe eine Stadt aus, die sich aus der Kraft der Kunst stetig neu entwickelt und in der das menschliche Miteinander Mittelpunkt und Maßstab bildet? Diese zentrale Frage einer Stadt-Utopie stellen sich die Teilnehmer der von Kolacek und Leßle organisierten vierwöchigen Werkstatt „LAB 1869 Zukunftswerk Stadt“. Im Dialog mit Kunst, Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Architektur und Bürgern soll mit dem Schwerpunkt auf Kunst und Quartier in der Zeit vom 5. Mai bis 3. Juni 2018 programmatisch beschrieben werden, wie ein gemeinwohlorientiertes und kulturell anregendes Leben auf dem KDH-Gelände aussehen könnte. Aus der Werkstatt soll ein kollaborativer Planungsprozess entstehen, der sich bis Ende 2018 erstreckt und in konkrete Lösungen mündet. In Zwischen-Räumen soll es beispielsweise möglich sein, an einem Ort zu leben und zu arbeiten, am Arbeitsplatz, ein Familienleben zu haben, oder auf einer gemeinschaftlichen Grünfläche sich erholen, spielen und Gemüse anbauen zu können. Bürger wie Bürgerinitiativen sind in verschiedenen Arbeitsgruppen dort vertreten.

 

Die Werkstatt kommt zur rechten Zeit. Die Planungen für das seit 2017 unter „Otto Langen Quartier“ firmierenden ca. 5 h großen Areals (Nikolaus Otto gründete zusammen mit Eugen Langen 1872 die „Gasmotoren-Fabrik DeutzAG“ und entwickelte kurz darauf den Viertaktgasmotor) schreiten allmählich voran. Im Gegensatz zu den übrigen Entwicklungsflächen im Mülheimer Süden sei man hier das „letzte gallische Dorf“, das noch nicht in die Hände eines privaten Großinvestors gefallen sei, so Marc Leßle ein wenig lakonisch.

 

Das Otto-Langen-Quartier gehört noch drei Eigentümern; NRW-Urban, verfügt flächenmäßig über den Löwenanteil. Nun beabsichtigt die landeseigene Einrichtung überraschenderweise, die eigenen Flächen kurzfristig zu veräußern. Es wird auch überlegt, die Liegenschaft europaweit für den Verkauf auszuschreiben. Dies wäre sicher ein lukratives Geschäft, das global flutende Kapital wird in letzter Zeit schließlich wegen hoher Rendite gerne in den deutschen Immobilienmarkt investiert. Nicht die besten Aussichten aber, um gemeinschaftlich einen utopischen Stadtraum zu kreieren. Dabei sind alternative Wege durchaus offen. Als schillerndes Beispiel nennt Marc Leßle im mittlerweile schattig gewordenen Innenhof die Umwandlung der Alten Samtweberei in Krefeld. Diese hat die „Montag Stiftung Urbane Räume“, deren Ziel es ist, gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklungen in der Stadtentwicklungspraxis zu verankern, zu einer lebendigen, gemeinschaftlich und gemischt genutzten Immobilie entwickelt, in der Wohnraum noch bezahlbar ist. Die Stiftung reinvestiert etwaigen Gewinn nach Anhörung des Mieterrates in das Projekt. Alle Mieter haben sich zudem verpflichtet, das soziale Miteinander aktiv zu unterstützen.

 

Dem möglicherweise düsteren Szenario für das Otto-Langen-Quartier setzt raum13 mit kreativer Macht und sozialpolitischer Fantasie ihre spannenden Entwürfe entgegen. Auch sie haben schließlich viel investiert. Marc Leßle äußert den Wunsch: „Was hier in sieben Jahren entstanden ist, soll mit in die künftige Planung einbezogen werden“. Vieles sei möglich, so könnte die denkmalgeschützte Möhring-Halle statt zur x-beliebigen Eventhalle, zum Spiel- und kollektiven Erlebnisraum umgebaut werden. Der Stadtentwicklungsausschuss des Rates beschloss auch angesichts des damals schon drohenden Verkaufs durch NRW-Urban, Anfang 2018 die Planung auf der Grundlage des bestehenden Planungskonzepts weiter auszuarbeiten.  Die Stadt macht Tempo, um auch künftige Eigentümer an die mit den anderen Vorhaben im Mülheimer Süden abgestimmte Planung mit ca. 500 Neubauwohnungen und gewerblicher, sozialer und kultureller Nutzung im Bestand zu binden. Diese berücksichtigt nun auch wieder mehr den Denkmalschutz. Die Akteure werden auf der anstehenden Werkstatt sicher ihre Forderung bekräftigen, dass ein erheblicher Anteil der zu veräußernden Fläche kurzfristig in landes- oder kommunalem Besitz bleiben oder übergehen soll. raum13 wird über die anstehende vierwöchige Werkstatt hinaus weiter im Gespräch mit Akteuren aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft bleiben. Die Idee gemeinwohlorientierten Quartiersplanung werden sie weiter verfolgen und sich dafür einsetzen, dass die Zukunft des Otto-Langen-Quartiers die innovative Vergangenheit mit hohem Identifikationsgrad würdigt.

 

Interviewer und Interviewte runden das Gespräch an diesem lauen Abend mit einer Flasche Bier ab, wie schon vor 100 Jahren die Arbeiter nach getanem Werk, reden über Trump und die Welt und der Autor hofft still, dass dem Otto Langen Quartier ein langer Frühling bevorsteht, in dem in alter Erde ein noch nicht gekannter Garten sozialen und kulturellen Leben erblühen kann.

LAB 1869 Zukunftswerk Stadt Termine

Eröffnung: Samstag,5. Mai ab 18 Uhr. Solibeitrag 5 €

 

Denk-Erinnerungs-Frei-Spielräume: 6., 12., 13., 19., 20., 
26., 27. Mai. 2., 3. Juni, samstags jeweils um 19.30 Uhr und 
sonntags um 12 und 15 Uhr. 
Solibeitrag 5 €

 

Bürgerbüro: 10., 11., 17., 18., 24., 
25., 31. Mai und 1. Juni

jeweils von 15 bis 18 Uhr

 

Spezialisten für die Denk-Erinnerungs-Frei-Spielräume: Silvia Beuchert / Mülheimer Nacht, Aude Bertrand / Kulturmanagerin, Prof. Dr. Walter Buschmann / RWTH Aachen, Prof. Dr. Christof Breidenich / Macromedia, HdK Berlin, Britta Eschmann / Die essbare Stadt, Barbara Förster / Kulturamtsleitung, Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Gehrke / Universität Freiburg, Katja Gehrke / Bühnenbildnerin u. Innenarchitektin / Dr. Winfried Gellner / Dr. Hanna Hinrichs / Stadtbaukultur NRW, Dirk Kolacek / Stadt Grün RUHR– Urbane Freiraumentwicklung, Katharina Mugralla & Henrik Schulze-Neuhoff / Projektleitung Museumsnacht, Peter Menke / Stiftung Die Grüne Stadt, Christiane Müller / Deutsche Kinder und Jugend Stiftung, Anne Müller & Chris Freihaut / Malteser Sharehaus Köln, Marc Müller / Labor am Ebertplatz, Eva Rusch / icon-design u. Herausgeberin Mülheimia Quarterly, Dr. Bettina Schmidt-Czaia / Leitung Historisches Archiv der Stadt Köln, Andreas Schmitz / Geschäftsführer Quartier am Hafen u. v. m.

 

Fotoausstellung: Christoph Kraneburg, Calvelli, Arton Krasniqi, Günter Krämmer, raum13 Kolacek & Leßle

 

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