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Kemo Bajramovic

Zwei Mal von Bosnien nach Deutschland

von Eva Bruchhaus

 

Als seine Eltern 1992 mit ihren Kindern vor den Gräueln des Bosnienkriegs aus ihrer Heimatstadt Zenica (Aussprache Seniza) mit einem vom Roten Kreuz organisierten Treck über Zagreb nach Deutschland flohen, war Kemo als ältester von vier Geschwistern sieben Jahre alt. In Lübeck angekommen zogen sie kurz darauf nach Hattingen. Die zwei ältesten Brüder besuchten die Grundschule, die Familie fühlte sich sicher und lebte sich gut ein. Zwei Jahre nach Kriegsende mussten sie in ihre zerstörte Heimat zurückkehren – „freiwillig, aber mit Druck“. Man hatte ihnen zugesagt, dass sie nach der Rückkehr bei der Wohnungssuche unterstützt würden, aber letztendlich landeten sie ohne Hilfe  und Perspektiven in einem Roma-Ghetto in einer Region, die in Jugoslawien eine wichtige Rolle im Braunkohlebergbau gespielt hatte, der jedoch durch den Krieg zum Erliegen gekommen war. In Ermangelung anderer Erwerbsquellen herrschte generell eine hohe Arbeitslosigkeit, die bei den Roma aufgrund mangelnder Ausbildung und weit verbreiteter Diskriminierung  90 Prozent überstieg.

 

Mit der Unterstützung durch eine NRO konnten die zwei jüngeren der inzwischen sechs Geschwister eine Schule besuchen, während die zwei ältesten – Kemo und sein Bruder Dzemo – dem Vater beim Schrottsammeln halfen, eine der wenigen Erwerbsquellen der Roma-Bevölkerung. Anfangs war dieses Geschäft aufgrund des während des Krieges angefallenen militärischen Geräts ganz einträglich, aber bald waren die Vorräte erschöpft. Um die Familie ernähren zu können, musste die Mutter zusätzlich betteln gehen, und trotzdem litten sie oft Hunger. Es gab Tage lang nichts zu essen, Strom und Wasser konnten nicht mehr bezahlt werden und wurden abgestellt, und die Kinder konnten nicht mehr in die Schule gehen. 15 Jahre lang bemühte sich der Vater ohne Erfolg um eine bezahlte Arbeitsstelle. „In Jugoslawien wäre das nicht passiert, da gab es genug zu essen, Ausbildungsmöglichkeiten und eine gesicherte Existenz.“ 

 

Im Sommer 2013 entschied sich die Familie schweren Herzens erneut zur Flucht nach Deutschland. Ende August kamen sie in Dortmund an und stellten einen Asylantrag. Anfang 2014 wurden sie nach Köln überwiesen, wo sie zuerst in einer Sammelunterkunft in der Vorgebirgsstraße und dann im City-Hotel in der Frankfurter Straße in Mülheim untergebracht wurden. Kemo und Dzemo sprachen bei ihrer Rückkehr nach Deutschland immer noch recht gut Deutsch, sie hatten in Zenica auf ihrem kleinen, gebraucht gekauften Fernsehapparat immer deutsche Sendungen gesehen, die sie den jüngeren Geschwistern übersetzten. So wurde Kemo zum Vermittler, Übersetzer und eine Art Sozialarbeiter für die anderen insgesamt 160 Geflüchteten  im City-Hotel, wo überwiegend Familien untergebracht waren. Bald kam es zum Kontakt zur Kirchengemeinde St. Mauritius, wo Marianne Arndt für die Caritas tätig war, u.a, leitete sie die Lebensmittelausgabe, die durch die 160 Bewohner des City-Hotels überfordert wurde. So wurde Kemo zum unentbehrlichen Helfer bei der Verteilung der Lebensmittel und zum Vermittler bei Problemen zwischen Geflüchteten, Hotelbesitzer, Caritas und den verschiedenen zuständigen Behörden, er motivierte die Geflüchteten zur Teilnahme an den ehrenamtlich organisierten Deutschkursen. Damit leistete er in der Unterkunft und außerhalb einen wichtigen Beitrag zum friedlichen Miteinander und sozialen Ausgleich.

 

 

Ende 2014 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der WiKu Köln-Mülheim, die somit von Anfang an eine  Initiative für und mit Geflüchteten war. Unermüdlich übernahm er zusätzliche Aufgaben: Beteiligung an Organisation und Ausrichtung der ersten großen Weihnachtsfeier mit 250 Gästen, an der Instandsetzung des Spielgeländes vom Don-Bosco-Club in der Tiefentalstraße, bei der Vorbereitung von Karnevalsumzügen, Pfarrfesten und an den zwei Mal im Jahr organisierten Kleiderbazaren. Für die Jugendlichen unter den Geflüchteten, „die ihre Zeit mit Zigaretten und Fernsehen tot schlugen“,  gründete Kemo 2015 mit seinem Bruder Dzemo eine Fußballmannschaft aus verschiedenen Flüchtlingsunterkünften im Stadtteil Mülheim, die zwei Mal pro Woche trainieren und Turniere mit anderen Fußballclubs im Stadtteil und außerhalb veranstalten. Gleichzeitig besuchte er ab 2015 die Tages- und Abendschule (TAS) Mülheim, wo es ihm gelang, nach nur einem Jahr den Hauptschulabschluss zu machen. Seit 2016 absolviert er eine Ausbildung zum Koch bei der Stadt Köln.

 

Schon bald nach ihrer Ankunft in Mülheim galt die Familie Bajramovic als Beispiel gelungener Integration. Das  stellte allerdings kein Hindernis für die Ablehnung ihres Asylantrags und die Abschiebung der  kranken und traumatisierten Eltern und der Tante dar, die trotz massiven Einsatzes von WiKu und anderen Aktiven 2015 (?) erfolgte. Ursprünglich sollte die ganze Familie abgeschoben werden, aber dank der tatkräftigen Unterstützung durch die WiKu-Mülheim, und besonders von Marianne Arndt, gelang es den Geschwistern Bajramovic zu bleiben. Als Familienoberhaupt der Restfamilie trägt nun Kemo die Verantwortung für ihr Wohlbefinden und Fortkommen. 

So notwendig die Unterstützung der WiKu-Mülheim für Kemo Bajramovic und seine Familie ist, so wichtig ist der Einsatz Kemos für die Arbeit der WiKu-Mülheim. Seine Sprachkenntnisse, sein Kommunikationstalent – auch im Umgang mit den Behörden – seine Verlässlichkeit, sein Verantwortungsbewusstsein, seine unermüdliche Bereitschaft und vor allem auch seine Offenheit nicht nur gegenüber Geflüchteten aller Nationalitäten sondern generell gegenüber allen Menschen sind heute, in einer Zeit zunehmender Polarisierung und eingeschränkter Rechtslage für Geflüchtete, für ein friedliches und gegenseitig bereicherndes Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Köln wichtiger denn jemals zuvor.  

 

Logo der WIKU MÜLHEIM
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