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Keine Superhelden

Mülheim Miniaturen

Eine Reihe von Marco Hasenkopf

Es ist spät in der Nacht, als ich aus dem Kino komme. Auf einer Fensterbank liegt ein Maiskolben. Im Vorbeigehen wie achtlos dahingeworfen. Das obere Ende lehnt am dritten oder vierten Element eines heruntergelassenen Rollladens, während er unten auf den Fliesen der Fensterbank ruht. Fliegen saugen an Fettspritzern. Daneben liegt eine zusammengeknüllte Papierserviette. Ich könnte sie glätten und über den Maiskolben spannen. Das neu entstandene Konstrukt würde eine gute Schutzhütte abgeben. Eine Art Gentrifizierungs-Wohnprojekt für Kleinstlebewesen. Als Fliege würde ich dort sofort einziehen. Bis auf ein einziges gelbes Maiskorn ist der Kolben vollständig abgenagt. Da hatte wohl jemand Hunger, weil satt sind ja andere, geht es mir durch den Kopf. Aber das klingt auch nur wie ein Werbespruch der Marke „Hol’ dir deine Revolution“.

 

Ich war in der Spätvorstellung von irgendwas Amerikanischem mit viel Budenzauber und Jahrmarktsgetöse. Zeitweise gab es mehr Superhelden auf der Leinwand, als Sitzplätze im Zuschauerraum. Der Film war genauso wie all die Comics mit Superhelden, die ich als Jugendlicher nie gelesen habe. Bei uns gab’s nur Fix und Foxi. Mein Blick fällt auf einen Stromkasten neben mir auf den jemand „Sintis raus“ geschmiert hat. Wer braucht schon Superhelden, wo Demokraten nötiger wären. In regelmäßigen Abständen erhellen Lichtkegel die Straße. Parkende Autos sind mit einer feinen Schicht Blütenstaub bedeckt. Es muss geregnet haben. Vereinzelt sehe ich feuchte Stellen auf den Pflastersteinen. Der Regen war nicht stark genug, um den Staub von den Autos zu waschen. Gelbe Streifen kleben auf den Karosserien.

Es ist ruhig. Beinahe dörflich. Und rätselhaft. Als würden die verwaisten Straßen Geheimnisse verbergen, weil die Menschen, die tagsüber geschäftig über sie hin und herlaufen, fehlen. Was das bedeuten soll, weiß ich nicht. Ein Sportwagen rauscht lärmend an mir vorbei. Keine fünfzig Meter weiter stoppt er abrupt. Mitten auf der Straße. Bei laufendem Motor liftet sich eine junge Frau aus dem Porsche 911. Ihr gräulicher Hosenanzug schmeichelt der Lackierung des Fahrzeugs. Sie bleibt in der geöffneten Fahrertür stehen und holt einen länglichen Gegenstand aus dem Inneren des Autos. Das Objektiv des Fotoapparats ist so lang wie mein Unterarm. Dann schießt sie Fotos in beiden Richtungen der Straße. Bei all dem verbleibt ihr rechter Fuß lässig im Fahrerraum. Dabei benutzt sie den Absatz ihres schwarzen Pumps wie einen Widerhaken, der sich an die metallic-farbene Fußleiste krallt. Dann springt sie wieder hinters Steuer und fährt weiter. Ob sie auch im Kino war?

 

Was mich bei diesem Fahrzeugmodell oft verwundert, ist die Frage, wieso der Hersteller für sein schnellstes Pferd im Stall ausgerechnet die Ziffernfolge der amerikanischen Notrufnummer verwendet. Auf der Straßenecke entdecke ich die japanische Kirschblüte. Der Baum ist groß, fast so hoch wie das vierstöckige Haus daneben und er steht in voller Blühte. Mehr Rosa geht nicht. Seine Äste ragen weit über die Kreuzung und berühren fast die Hauswände. Ein kräftiger Windstoss trifft den Baum. Von einer Sekunde auf die nächste wirbeln unzählige rosafarbene Blütenblätter durch die Luft. Die gesamte Straßenkreuzung wird in ein Blütenmeer getaucht. Das Licht der Straßenlaternen lässt die Blätter schillern wie Pailletten. Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen. Es ist wie im Märchen oder einem dieser Comics, die ich nie gelesen habe.


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